Evros, so die
Tourismusagentur der Provinz im Nordosten
Griechenlands,
"ist
eine Region, die diejenigen willkommen heisst, die ihr
Leben bereichern und ihrer Zukunft einen Sinn und eine
Perspektive geben möchten. Ein begnadeter Ort, der
Momente inneren Friedens und Glücks bietet und sich in
Toleranz gegenüber dem Andersartigen und in
wahrhaftiger Gastfreundschaft
niederschlägt."
Von all dem hat M. nicht viel bemerkt. M. wurde nicht
willkommen geheissen. Sie kam mit ihrer Familie aus dem
Nachbarland Türkei und überquerte den Evros Fluss auf
der Suche nach Sicherheit und einer Perspektive.
M. wurde von Polizeieinheiten aufgegriffen und in das
Gefängnis von Soufli gebracht. Wie es den Menschen dort
ergeht bekommen nur wenige Einheimische mit. Weit ab
von den gemütlichen Straßencafes und den Museen des
kleinen Städtchens sind die Flüchtlinge in einem
kleinen Seitengebäude auf dem Gelände einer
Polizeistation untergebracht.
Doch untergebracht kann man es nicht nennen: Nur wenn
der kleine vergitterte Raum mit 50 Menschen belegt ist,
haben alle die Möglichkeit sich nachts zum Schlafen auf
den dreckigen und mit alten Matratzen ausgelegten
Fußboden zu legen. Jetzt, bei 100 Menschen muss in zwei
Schichten geschlafen werden. Wenn der Raum voll belegt
ist geht das nur im Stehen oder Sitzen. M berichtet:
„Die
Polizei lässt immer dann Leute frei, wenn wirklich kein
einziger Zentimeter mehr frei ist. Es schlafen sogar
welche vor den Toiletten im Wasser und im
Müll!“
In den Strassencafes der Stadt stöhnen die Touristen
über die derzeitige Hitzewelle. Auch Abends sinkt die
Temperatur nicht unter 30 Grad. Nur die Mosquitos
fühlen sich jetzt wohl. 56 verschiedene Arten sind hier
heimisch. Griechische Zeitungen warnen die Bevölkerung
vor der Verbreitung von Krankheiten. Das
West-Nil-Fieber ist weit verbreitet, sogar Malaria
kommt hier vor. Abends stürzen sich die Tiere sich auf
jeden der sich nicht geschützt hat.
Im Gefängnis von Soufli gibt es für M. keinen Schutz.
Nicht vor den Mosquitos, nicht vor der Hitze, nicht vor
dem Wasser das aus den Toiletten in die Schlafräume
rinnt, nicht vor schlechtgelaunten Beamten, nicht vor
den Blicken der Männer.
„Wir
waren auf engstem Raum gemeinsam mit Männern, die wir
noch nie gesehen haben. Frauen, Männer, Kinder....aus
den verschiedensten Ländern. Wegen der Hitze waren die
meisten nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet. Ich habe
mich sehr unwohl gefühlt und nur durch die Anwesenheit
unserer männlichen Verwandten war ich ein bisschen
beruhigt.“
Und kein Hilferuf dringt nach außen. Handys werden den
ankommenden Flüchtlingen als erstes abgenommen. Niemand
hört das Wimmern der Babys, das Singen der Männer, die
versuchen in der Nacht durch den Gesang ihren Mut zu
bewahren und die Hoffnung nicht zu verlieren. Aus der
einen Ecke ertönen arabische Lieder, aus der anderen
kurdische.
Als nach wenigen Tagen das Gefängnis von Soufli wieder
mit 200 Personen belegt war kam M. raus. Andere müssen
bleiben. Flüchtlinge aus dem Georgischen
Bürgerkriegsgebiet und alle die einen Asylantrag
gestellt haben bleiben länger – manche bis zu sechs
Monaten.
Nach offiziellen Angaben werden jährlich ca. 150 000
Menschen von der Polizei aufgegriffen und in teils zu
provisorischen Gefängnisse umgebauten Lagerhallen
gesteckt. Es gibt keine ausreichenden
Sanitäreinrichtungen, sie erhalten keinen
Rechtsbeistand, keine Informationen über die
voraussichtliche Dauer der Gefangennahme oder gar ihre
Rechte als Flüchtlinge, es gibt keine Übersetzer, keine
Krankenversorgung und keine Privatsphäre für sie.
M. hatte Glück. Sie ist nach wenigen Tagen entlassen
worden und kann jetzt nach Athen weiterziehen. Sie ist
zwar frei, aber Unterstützung gibt es immer noch nicht
für sie. Sie weiß nur, dass sie nach Athen muss, aber
wo sie schlafen wird, was sie essen wird, wer ihre
Fragen beantworten kann, all dies weiß sie nicht.
Andere haben hier weniger Glück. Weite Teile der
Grenzregion sind als Schutz vor der türkischen Armee
vermint. Angeblich gibt es schon seit letztem Jahr
keine Minenopfer mehr. Angeblich sind alle
Personenminen geräumt. Anwohner berichteten aber
kürzlich noch von Explosions- und anschließenden
Helikoptergeräuschen. Sie sind sich sicher, es gab doch
wieder ein Opfer.
Die meisten jedoch ertrinken in den Wassern des Evros
Flusses. So wie Ende Juli. Bei der Überquerung des
Flusses hatte sich eine Gruppe von Flüchtlingen
gegenseitig an den Händen gehalten als die
Menschenkette in dem durch Regenfälle angestiegenen
Wasserspiegel riss. Diejenigen, die versuchten ihre
Freunde zu retten, kamen dabei ebenfalls um. Insgesamt
16 Körper wurden anschließend an beiden Ufern des Evros
angeschwemmt. Und dieser Vorfall ist keine Ausnahme.
Der Direktor des örtlichen Krankenhaus in
Alexandropolus erklärte den Tod von Migranten in Evros
zu einem "praktisch täglichen Phänomen".
Wer die Reise über die Grenze nicht überlebt hat, dem
wird eine DNA Probe entnommen und anschließend auf
einem der vielen informellen muslimischen Friedhöfe
begraben. Es sind keine Friedhöfe im herkömmlichen
Sinne. Es sind wüste Stätten so wie der Friedhof
westlich von Soufli. Weitab in den Bergen von Evros, 2
Kilometer ausserhalb des kleinen Dorfes Sidiro.
Erdhaufen die immer wieder umgegraben werden. Manchmal
in Handarbeit, manchmal mit der Planierraupe. Um
einzelne Menschen, oder 10 oder 20 gleichzeitig zu
verscharren. Unbekannte haben den einzigen Hinweis auf
das Massengrab mit Einschusslöchern durchsiebt. Das
Metallschild lehnt an einer Eiche und trägt die
Aufschrift:"Friedhof der illegalen Migranten
Mufti Evros".
Weitere Hinweise für den Besucher, wer oder wie viele
Menschen hier liegen gibt es nicht. Es kommen auch
keine Besucher. Die Angehörigen der Todesopfer haben in
den seltensten Fällen Informationen über das Schicksal
ihrer Freunde. Wissen nicht, wo sie suchen sollen.
Die Überlebenden vom Juni diesen Jahres wollen die
Hoffnung noch nicht aufgeben ihre Verwandten eines
Tages wieder zu sehen. Vielleicht sind sie in einer
Polizeistation eingesperrt, von der Grenzpolizei auf
die türkische Seite zurückgetrieben worden. Oder
vielleicht gehören sie zu den namenlosen Körpern,
verscharrt in einem Massengrab, wie Kriegsopfer. Denn
Krieg herrscht hier im Evros und an den anderen
Aussengrenzen der EU.